Bild und Schrift bei den Germanen
Wo in der antiken Welt der Griechen und Römer fast
jeder Bereich des Lebens mit Bildlichen Darstellungen angefüllt war, war
es bei den Germanen sehr lange kahl und Bilderlos. Bis zur älteren
römischen Kaiserzeit gab es meist nicht mehr als mal ein
stiergestaltiger Trinkhornbeschlag oder eine grob geschnitzte Kultfigur.
Auch in der jüngeren römischen Kaiserzeit ändert sich das nur sehr
zögerlich. Fibeln in Tiergestalt, nach römischen Vorbildern gestaltet,
kamen gebietsweise in Mode. Hirsch und Eber waren die beliebtesten
Motive. Auch kleine Bronzefiguren in Rindergestalt waren weithin
bekannt. Aus dem überaus reichen Angebot von potenziellen Vorbildern
wurden jedoch nur Darstellungen von Tieren ausgewählt. Und hier auch nur
von solchen, die in der heimischen Fauna vorkamen. Während der
Völkerwanderungszeit im 5. Jahrhundert setzte eine Entwicklung ein, die
zu einer für die germanische Welt eigentümlichen Kunstäußerung führte.
Entscheidend hierfür waren Gürtelbeschläge römischer Militärpersonen aus
Bronze und Silber, deren Randpartien Raubkatzen und Seetiere darstellen.
Solche Verzierungen wurden bald auch bei den Germanen nachgeahmt, teils
perfekt imitiert, und dem eigenen Geschmack angepasst. Hierfür wurden
die Tierbilder eigentümlich zerstückelt in einzelne anatomische
Elemente. Außerdem entwickelte man sich dadurch von den römischen
Vorformen weg zu einem eigenen germanischen Kunststil indem man nun
nicht mehr nur den Rand von Ziergegenständen schmückte, sondern auch die
zentrale Fläche besetzt wurde und die Elemente der Tierdarstellung in
ganz unorganischer Weise, allein nach künstlerischen Gesichtspunkten,
arrangiert wurden. Die erste Steilstufe der germanischen Tierornamentik
wurde in der Zeit um 500 n. Chr. Im südlichen Skandinavien entwickelt.
Die zweite Stufe hat man im laufe des 6. Jahrhunderts erreicht, indem
Flechtbandmuster ihren Einfluss in die Tierdarstellung fanden. Es wurden
Flechtmuster mithilfe von Tierbildern und Tierbilder als Flechtmuster
dargestellt. Mit der Tierornamentik hatte die Mehrzahl der
germanischen Stämme eine ihnen gemäße künstlerische Ausdrucksform
gefunden. Dieser Formensprache bedienten sich die skandinavischen Völker
ebenso wie die Langobarden in der Theißebene oder in Italien, sie wurde
von Angelsachsen, Franken und Thüringern gleichermaßen verstanden;
lediglich die gotischen Stämme scheinen daran keinen Anteil genommen zu
haben. Ähnlich verhielt es sich mit der Entwicklung der
Schrift. Allerdings sind hier große Teile des Aneignungsvorganges
unbekannt. Sicher ist man sich nur, dass die Germanen frühzeitig aus
einem mediterranen Alphabet ein eigenes Schriftsystem, die Runenschrift
des älteren Futhark, abgeleitet haben. Welche Germanen aus welchem
Alphabet wo und wann die Runenschrift entwickelt haben ist ungewiss.
Fest steht, dass es ein Eigenständiges uneingeschränkt taugliches
Schriftsystem mit 24 Zeichen ist, welches mit keinem der als Vorbild in
Betracht kommenden Alphabete übereinstimmt. Besondere Eigenarten
dieser Schrift sind erstens die Reihenfolge der Buchstaben, die dem
Alphabet auch Ihren Namen gegeben hat: F – U – Th – A – R – K sind die
ersten sechs Zeichen der Runenreihe. Und Zweitens der Umstand, das jedem
Buchstaben neben dem Lautwert eine begriffliche Bedeutung zukommt. So
hat die erste Rune neben dem Lautwert „F“ noch die Bedeutung „Fehu“, was
soviel bedeutet wie „Vieh“. Der Einsatz dieser Schrift war
jedoch sehr spärlich, zumindest den archäologischen Funden nach zu
urteilen. Zur Zeit des älteren Futhark (vor Anfang des 8. Jahrhunderts)
wurden meist nur Widmungen und Zueignungen auf Gegenständen und hier
auch meist nicht sichtbar auf der Rückseite damit geschrieben. Außerdem
gute Wünsche, selten Verwünschungen, Namen, des Gegenstandes, des
Besitzers, des Empfängers, des Widmenden, der Person, die die Runen
ritzte, alles in allem persönliche, private Dinge die zum Ausdruck
gebracht wurden und dieses sehr diskret. Obwohl den Germanen also ein
in jeder Hinsicht taugliches Schriftsystem zur Verfügung stand, obwohl
sie mit der römischen Art der Verwendung von Schrift über Jahrhunderte
lang Bekanntschaft machen konnten und die Vorteile der Schriftlichkeit
im öffentlichen Leben doch auch für sie klar zutage gelegen haben
müssen, blieb die Anwendung von Schrift bei ihnen viele Jahrhunderte
lang einer eng umgrenzten privaten und diskreten Sphäre vorbehalten.
Jedoch wurden Runen im Norden bis in die Neuzeit geschrieben.
Weswegen man die Runenschrift auch nie zu entziffert brauchte, da man
sie noch lesen konnte als die wissenschaftliche Beschäftigung mit alten
Runeninschriften einsetzte.
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